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Massenentlassung: Voraussetzungen, Ablauf und Checkliste

Die andauernde Corona-Pandemie hat in diversen Betrieben den Druck erhöht, betriebliche Umstrukturierungen bis hin zu Entlassungen vorzunehmen. Beabsichtigt nun ein Arbeitgeber, eine grössere Anzahl von MitarbeiterInnen aufgrund wirtschaftlicher Gründe zu entlassen, so kommen die zwingenden gesetzlichen Bestimmungen zur Massenentlassung zur Anwendung, sofern eine gewisse Anzahl von Kündigungen innert einer kurzen Zeit erfolgen sollen. Die Arbeitgeber sind gut beraten, diese Vorschriften einzuhalten, denn die Nichteinhaltung kann zu Verzögerungen oder zu finanziellen (Straf-)Folgen führen. Der anschliessende Beitrag gibt eine Übersicht zu den Voraussetzungen und den Ablauf einer solchen Massenentlassung (inkl. Checkliste).

1. Begriff und Vorliegen einer Massenentlassung

Eine Massenentlassung liegt nach Gesetz (Art. 335d OR) vor, wenn ein Betrieb, abhängig von seiner Betriebsgrösse, eine Mindestzahl an Kündigungen innerhalb eines Zeit- raumes von 30 Tagen ausspricht, wobei die Gründe zur Kündigung nicht im Zusammenhang mit der Person der Arbeitnehmenden stehen.

Das Gesetz legt folgende Schwellenwerte für das Vorliegen einer Massenentlassung in Bezug auf die Mindestzahl an Kündigungen im Verhältnis zur Betriebsgrösse fest:

  • Entlassung von mindestens 10 Arbeitnehmenden in Betrieben, die in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmende beschäftigen
  • Entlassung von mindestens 10 Prozent der Arbeitnehmende in Betrieben, die in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmer beschäftigen
  • Entlassung von mindestens30 Arbeitnehmenden in Betrieben, die in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmende beschäftigen

Bei Betrieben mit weniger als 21 Arbeitnehmenden oder wenn weniger als 10 Arbeitnehmende von einer Entlassung betroffen sind, liegt keine Massenentlassung vor. Zu beachten ist jedoch, dass bei einer Betriebsschliessung oder bei Entlassungen von mindestens 10 Mitarbeitern innerhalb von 30 Tagen eine Mitteilungspflicht an das kantonale Arbeitsamt (Kanton Zürich: AWA Zürich) besteht (Art. 29 AVG / Art. 53 AVV).

a.) Kündigung durch den Arbeitgebende

Die Kündigungen müssen durch die Arbeitgebende ausgesprochen werden. Von Bedeutung sind nur Kündigungen, die nicht im Zusammenhang mit der Person des Arbeitnehmenden stehen (z.B. schlechte Performance oder Vertragsverletzung), sondern die auf wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen basieren. Auch Änderungskündigungen werden bei der Berechnung der Anzahl Kündigungen mitberücksichtigt. Unerheblich wäre hingegen, ob anstelle der entlassenen Arbeitnehmenden andere neu eingestellt werden.

b.) Kündigungen innerhalb von 30 Tagen

Zur Massenentlassung zählen nur Kündigungen, welche innerhalb von 30 Tagen ausgesprochen werden. Auf gestaffelt ausgesprochene Kündigungen sind die Vorschriften der Massenentlassung grundsätzlich nicht anwendbar. Vorbehalten bleiben aber Fälle, bei denen die Arbeitgebende eine solche Staffelung ohne einen nachvollziehbaren betrieblichen oder wirtschaftlichen Grund («Salami-Taktik») vornimmt, um die Bestimmungen der Massentlassung treuwidrig zu umgehen.

c.) Kündigungen innerhalb des Betriebs

Für die gesetzlichen Schwellenwerte für das Vorliegen einer Massenentlassung ist nicht auf das Unternehmen, sondern auf den einzelnen Betrieb abzustellen. Die gilt auch im Falle einer Unternehmung mit mehreren Betrieben.
 

2. Ablauf und Verfahrensschritte bei der Massenentlassung

a.) Konkrete Absicht

Die Pflicht zur Einhaltung der Vorschriften zur Massenentlassung entsteht in dem Moment, in dem die Unternehmung die Vornahme einer Massenentlassung konkret beabsichtigt. Der Arbeitgebende ist ab dann verpflichtet die Verfahrensschritte aufgrund der gesetzlichen Pflichten in (zeitlich) korrekter Abfolge einzuhalten.

Wichtig ist, dass der definitive Entscheid über die Entlassung erst nach dem Konsultationsverfahren gefällt werden darf.

b.) Information an die Arbeitnehmerschaft

Der erste Schritt nach dem Vorliegen konkreter Absicht liegt darin, die Arbeitnehmerschaft gemäss Art. 335f Abs. 3 lit. a-d OR über folgende Mindestinformationen schriftlich zu informieren:

  • die Gründe der Massenentlassung
  • die Zahl der betroffenen Arbeitnehmenden
  • die Zahl der im Betrieb in der Regel beschäftigten Arbeitnehmenden
  • den Zeitraum, in dem die Kündigungen ausgesprochen werden sollen

Adressat dieser Informationen ist die betriebsinterne Arbeitnehmervertretung. Wenn keine solche besteht, muss die gesamte Belegschaft informiert werden.

Zudem müssen jegliche weiteren zweckdienlichen Auskünfte aufgrund von entsprechenden Anfragen der Mitarbeitenden durch die Firma erteilt werden. Als zweckdienliche Informationen gelten solche, welche der Arbeitnehmerschaft erlauben, zusätzliche oder verbesserte Lösungsvorschläge zur Vermeidung von Kündigungen oder zur Milderung der Folgen der Entlassung auszuarbeiten.

Aufgrund dieser Informationen kann beurteilt werden, ob überhaupt eine Massenentlassung vorliegt. Zudem kann die Arbeitnehmerschaft aufgrund dieser Informationen ihr Rechte im Konsultationsverfahren wahrnehmen und sinnvolle, auf die konkreten Gründe bezugnehmende Vorschläge unterbreiten. Deshalb müssen die Informationen wahrheitsgetreu angegeben werden. Insbesondere die Gründe für die Massenentlassung sollen vollständig und konkret dargelegt werden.

Eine Kopie dieser schriftlichen Mitteilung muss dem kantonalen Arbeitsamt (Kanton Zürich: AWA Zürich) zugestellt werden, damit dieses die zu erwartenden Auswirkungen auf den lokalen Arbeitsmarkt abschätzen kann.

c.) Konsultationsverfahren

Art. 335f OR verpflichtet den Arbeitgebenden dazu, die Arbeitnehmerschaft zur beabsichtigten Massenentlassung zu konsultieren. Damit soll die Arbeitnehmerschaft die Gelegenheit erhalten, gestützt auf die ihr erteilten Informationen mögliche Vorschläge zu unterbreiten, wie die in Aussicht gestellten Kündigungen vermieden, deren Anzahl beschränkt sowie ihre Folgen (ökonomisch/sozial) gemildert werden können.

Für das Einreichen der Vorschläge ist der Arbeitnehmerschaft eine angemessene Frist zu setzen. Diese sollte in der Regel mindestens 10 Tage betragen. Es erfordert jedoch eine Einzelfallbeurteilung bei der auf die Dringlichkeit und Komplexität der Angelegenheit, wie auch auf die Organisation der Arbeitnehmerschaft abzustellen ist.

Ziel des Konsultationsverfahren ist es, eine Einigung zwischen Unternehmung und Mitarbeitenden zu erzielen. Der Konsultationspartner auf Arbeitnehmerseite ist vorrangig die Arbeitnehmervertretung. Fehlt eine solche im betreffenden Betrieb, sind die Arbeitnehmer direkt zu konsultieren. Die Konsultation erfolgt gegenüber allen Arbeitnehmern des Betriebes, nicht nur gegenüber den durch die Entlassung betroffenen. Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite haben gemäss Art. 11 Abs. 1 MwG nach Treu und Glauben zusammenzuarbeiten.

Das Unternehmen hat die Vorschläge der Mitarbeitende zu prüfen und sich damit ernsthaft auseinander zu setzen. Der Arbeitgebende ist jedoch frei, die Vorschläge tatsächlich umzusetzen; er kann diese auch ablehnen. Aus dem Gesetz ist keine eigentliche Begründungspflicht abzuleiten. Es kann sich aber im Einzelfall aufdrängen, die abgelehnten Vorschläge summarisch (und evtl. sogar schriftlich) zu begründen. Der Gesetzgeber schreibt keine Dauer vor, wie lange die Prüfungsphase zu dauern hat. Es ist zu empfehlen, eine ausreichende Zeitspanne für die Prüfung einzuplanen (z.B. 2 – 3 Tage). Ansonsten wird bei den Mitarbeitenden der Eindruck geweckt, dass keine sorgfältige Prüfung und Fällung des Entscheids vorgenommen wurde, was Misstrauen auslöst.

d.) Anzeige an das Arbeitsamt

Nach der Durchführung des Konsultationsverfahrens und der definitiven Entscheidungsfindung muss das Unternehmen das kantonale Arbeitsamt (Kanton Zürich: AWA Zürich) schriftlich über den Entscheid und die nun kommende Massenentlassung informieren. Eine Kopie dieser Anzeige ist den Arbeitnehmenden zuzustellen.

In der Anzeige müssen alle Ergebnisse der Konsultation (auch die in Art. 335f Abs. 3 Bst. a-d OR erwähnten Mindestangaben sowie die Vorschläge und Stellungnahmen) und sonstigen zweckdienlichen Abgaben über die Massenentlassung enthalten sein. Darunter fallen auch etwaige Informationen und Daten, über welche nach Art. 335f zusätzlich Auskunft erteilt wurde.

Grundsätzlich empfiehlt es sich, das Arbeitsamt möglichst früh zu informieren, da diese nach Lösungen für die Probleme sucht, welche die Massenentlassung auf dem Arbeitsmarkt bewirkt.

e.) Aussprechen der Kündigungen

Nach der durchgeführten Konsultation und der Anzeige an das Arbeitsamt kann der Arbeitgebende, die beabsichtigen Kündigungen aussprechen. Zu beachten ist, dass ein aufgrund einer Massenentlassung gekündetes Arbeitsverhältnis frühestens 30 Tage nach Zustellung der Anzeige beim Arbeitsamt enden kann. Die GAV-, arbeitsvertraglichen oder gesetzlich vorgesehenen Kündigungsfristen sind natürlich in jedem Fall einzuhalten. Darüber hinaus ist der zeitliche Kündigungsschutz gem. Art. 336c OR weiterhin anwendbar.

Die Unternehmung ist jedoch an seine zu Beginn des Verfahrens mitgeteilte Maximalzahl an Kündigungen gebunden. Für darüberhinausgehende Kündigungen müsste erneut informiert und konsultiert werden. Vorbehalten bleiben stets individuelle Kündigungen wegen ungenügender Leistungen, unangemessenem Verhalten etc.. Solche Kündigungen sind von den Bestimmungen zur Massenentlassung ausgenommen.
 

3. Verletzung der Vorschriften und Konsequenzen

Die Nichteinhaltung von Vorschriften zur Massenentlassung kann zu den folgenden Konsequenzen führen: Kündigungen, welche im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochen wurden, ohne dass ein Konsultationsverfahren durchgeführt wurde (bzw. wenn es verspätet durchgeführt oder wenn der Zweck des Konsultationsverfahrens vereitelt wurde), können als missbräuchlich angefochten werden (Art. 336 Abs. 2 lit. c OR). Arbeitnehmende können (nach erfolgter Einsprache und Klageerhebung) eine Entschädigung von maximal zwei Monatslöhnen fordern (Art. 336a Abs. 3 OR).

Solange die Anzeige über die beabsichtigte Massenentlassung gem. Art. 335g Abs. 1 und 2 OR dem Arbeitsamt nicht zugestellt wird, beginnt die 30-tägige Frist gem. Art. 335g Abs. 4 OR nicht zu laufen. Die gekündigten Arbeitsverhältnisse können somit rechtlich nicht enden, solange die Anzeige ans Arbeitsamt nicht getätigt wurde.

Schliesslich muss der Arbeitgebende Vorsicht walten lassen bei der effektiven Bestimmung und Selektion derjenigen Mitarbeitenden, welche von der Massenentlassung betroffen sind. So könnte eine Missbräuchlichkeit vorliegen, falls ohne betrieblichen oder sachlichen Grund nur Mitarbeitenden, welche (bei vorgängiger Kurzarbeit) von ihrem Recht auf Ablehnung der Kurzarbeit Gebrauch gemacht haben, gekündigt würde.
 

4. Sozialplanpflicht

Seit 2014 gilt eine gesetzliche Sozialplanpflicht für den Fall, dass innerhalb von 30 Tagen die Kündigung von 30 Mitarbeitenden von einer Unternehmung, der in der Regel mindestens 250 Mitarbeitende beschäftigt, ausgesprochen wird (Art. 335h ff. OR). Auch hier beziehen sich die Grenzwerte auf einen einzelnen Betrieb.

Im Gegensatz zur Massenentlassung werden gestückelte Kündigungen, welche auf dem gleichen betrieblichen Entscheid beruhen, zusammengezählt (Art. 335i Abs. 3 OR).

Ist die die Sozialplanpflicht anwendbar, so muss die Firma mit den Arbeitnehmenden (bzw. GAV-Arbeitnehmerverbänden oder der Arbeitnehmervertretung, Art. 335i Abs. 3 OR) aktive Verhandlungen führen, welche in jedem Fall mit einem Sozialplan enden müssen. Können sich die Parteien nicht einigen, muss ein Schiedsgericht beigezogen werden. Ein solcher Sozialplan darf aber die Fortführung des Betriebs nicht gefährden.

Im Sozialplan sollen Massnahmen festgelegt werden, welche Kündigungen vermeiden, deren Zahl beschränken und deren Folgen mindern können (z.B. finanzielle Leistungen, Verlängerung Kündigungsfristen, Frühpensionierungen und Überbrückungs- oder Abgangsleistungen, Outplacements etc.).

Besteht in einem Betrieb bereits ein (vorsorglicher) GAV, welcher diese Themen behandelt, so besteht im Rahmen einer Massenentlassung keine Verhandlungspflicht mehr und der entsprechende GAV kommt zur Anwendung.

Gerne stehen wir Ihnen für Fragen im Zusammenhang mit Betriebsschliessungen oder Massenentlassungen zur Verfügung.

- Checkliste "Massenentlassungen" herunterladen (PDF)


Text: Dominic Steffen
Partner, Rechtsanwalt
dominic.steffen@wslaw.ch
T +41 44 25 60 10


Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen stellen keine rechtliche Beratung dar, und sollten nicht ohne professionelle rechtliche Beratung zum Anlass für Handlungen genommen werden.


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