
Diskriminierung durch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: «Wie wehre ich mich?»
«Mein Vorgesetzter hat sich mir während einer Besprechung zum Jahresbudget unerwünscht angenähert. Ich fühle mich hierdurch sehr belästigt und unter Druck gesetzt. Wie kann ich mich wehren?»
Ihr Arbeitgeber muss aufgrund seiner Fürsorgepflicht generell für ein Arbeitsklima ohne sexuelle Belästigung sorgen. Er ist verpflichtet, seine Mitarbeitenden beiderlei Geschlechts vor sexueller Belästigung durch Vorgesetzte, andere Arbeitnehmende oder Dritte zu schützen. Wenn seine allgemeinen Schutzmassnahmen solche Belästigungen nicht verhindern können muss der Arbeitgeber die belästigte Person aktiv schützen (Art. 328 OR; Art. 6 Abs. 1 Arbeitsgesetz ArG, Art. 5 Abs. 3 Gleichstellungsgesetz GlG).
Als sexuelle Belästigung gelten insbesondere folgende Verhaltensweisen:
- Äusserungen über persönliche Vorzüge oder Schwächen
- Anstössige Witze oder Bemerkungen
- Aufdringliche Blicke, Pfeifen
- Schimpfwörter wie z.B. «Schlampe»
- Unerwünschtes Annähern, Gesten, Zudringlichkeiten
- Unanständige Bilder, Fotos am Arbeitsplatz
- Versenden von E-Mails oder SMS mit groben sexuellen Witzen, Fotos, Bildern, Videos mit pornografischem Inhalt
- Zurschaustellen der Geschlechtsteile
- Sexueller Missbrauch, Nötigung und Vergewaltigung
Eine Diskriminierung durch sexuelle Belästigung stellt nach Art. 4 GlG jedes belästigende Verhalten sexueller Natur, das die Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz beeinträchtigt. Hierbei kann es sich auch um ein anderes Verhalten aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit mit dem gleichen Effekt handeln. Als diskriminierend gelten insbesondere folgende Verhaltensweisen:
- Drohungen,
- das Versprechen von Vorteilen,
- das Auferlegen von Zwang oder
- das Ausüben von Druck zum Erlangen eines Entgegenkommens sexueller Art.
Die Belästigung muss nicht am Arbeitsplatz selbst erfolgen, solange sich diese auf das Arbeitsverhältnis auswirken kann. Entscheidend ist, dass das Verhalten nach (gleichgeschlechtlichem) Durchschnittsempfinden auf die betroffene Person belästigend wirkt, auch wenn es möglicherweise nicht beabsichtigt war. Ein besonders strenger Massstab ist hierbei an das Verhalten von Vorgesetzten anzusetzen. Wenn Ihr Vorgesetzter somit eine Budgetfreigabe von einer sexuellen Gefälligkeit abhängig macht, liegt eine Diskriminierung durch sexuelle Belästigung vor.
Als mögliche Intervention gegen die Belästigung können Sie auf Unterlassung oder Beseitigung klagen oder eine andauernde Belästigung als Diskriminierung gerichtlich feststellen lassen (Art. 5 Abs. 1 GlG). Sie können zum Beispiel folgende Massnahmen beantragen:
- Umgestaltung des Arbeitsplatzes
- Anpassung der Arbeitsabläufe
- Verwarnung, Versetzung oder (fristlose) Entlassung der fehlbaren Person
- Eigene Versetzung
Sie können zudem beantragen, dass der Arbeitgeber Ihnen eine Entschädigung bezahlt, falls dieser nicht beweisen kann, dass er Massnahmen ergriffen hat, die erfahrungsgemäss zur Verhinderung sexueller Belästigungen notwendig und angemessen sind und die ihm billigerweise zugemutet werden können. Wenn Ihrem Arbeitgeber dieser Entlastungsbeweis misslingt, können Sie Anspruch auf bis zu sechs durchschnittliche Monatslöhne haben. Ihr Arbeitgeber kann dann für diese Summe auf den fehlbaren Vorgesetzten Rückgriff nehmen.
Ihr Arbeitgeber kann für die Zukunft folgende präventive Massnahmen gegen sexuelle Belästigung ergreifen:
- Schaffen einer Anlaufstelle
- Erstellen von Reglementen (mit Grundsatzerklärungen, Definition der sexuellen Belästigung, Geltungsbereich, gesetzliche Bestimmungen, Rechte und Pflichten der Angestellten, formelle oder informelle Beschwerdeverfahren usw.)
- Androhung von internen Sanktionen
- Standardisierte Information der Angestellten zu den Abwehrmassnahmen
- Regelmässige Kontrolle der Einhaltung
Eine fundamentale Rolle zur wirkungsvollen Umsetzung solcher Massnahmen spielen letztlich die involvierten Führungs- und Ansprechpersonen, welche aktiv in ihrer Rolle geschult werden müssen (weitere Infos in: Wolfgang Portmann / Adrian von Kaenel, Fachhandbuch Arbeitsrecht, Zürich / Basel / Genf 2018, S. 17ff).