
Kann eine Austrittsvereinbarung zu Nachteilen bei der Arbeitslosenversicherung führen?
Viele Arbeitsverhältnisse werden in der Praxis mittels Vereinbarung beendet, um eine Kündigung nicht aussprechen zu müssen oder um die Folgen einer Kündigung zu regeln. Der Arbeitgeber bezahlt in diesen Fällen häufig eine Entschädigung, um allfällige Differenzen zu bereinigen. Im Gegenzug ist der Arbeitnehmer bereit, auf Ansprüche, u.a. die Anfechtung der Kündigung, zu verzichten und den Austritt definitiv zu vereinbaren. Beim Abschluss solcher Austrittsvereinbarungen ist jedoch Vorsicht geboten.
Freiwillige Leistung
Nach der neueren Rechtsprechung der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts (Urteil 8C_94/2000 vom 9. Juli 2020) kann die Arbeitslosenversicherung solche Entschädigungen als eine freiwillige Leistung im Sinne des Arbeitslosenversicherungsgesetzes behandeln. Das führt dazu, dass gemäss Arbeitslosenversicherungsgesetz die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosentaggelder erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt sind.
Beispiel
Zusammengefasst lag folgender Sachverhalt dem Urteil zugrunde: Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis am 18. Dezember 2017 aus wirtschaftlichen Gründen unter Einhaltung der Kündigungsfrist auf den 30. Juni 2018. Am gleichen Tag schlossen die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung mit dem definitiven Austritt am 30. Juni 2018. Dem Arbeitnehmer wurde in Aussicht gestellt, dass er, sofern er gewisse Voraussetzungen erfülle, Ende 2017 und Ende Juni 2018 je eine freiwillige Abfindung von total CHF 61‘116.00 erhalte, um sich unter anderem in seine Pensionskasse einkaufen zu können.
Der Arbeitnehmer zahlte davon CHF 20‘000.00 in seine Pensionskasse ein. Im Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung war nicht voraussehbar, dass der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist, aber vor dem Vertragsende (30.6.18), zwei Monate arbeitsunfähig wird.
Am 1. Juli 2018 beantragte der Arbeitnehmer Arbeitslosentaggelder. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass kein Anspruch auf Taggelder für die Monate Juli und August mangels eines anrechenbaren Arbeitsausfalles bestehe.
Der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung setze u.a. voraus, dass die versicherte Person ganz oder teilweise arbeitslos ist und einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten habe. Der Arbeitnehmer habe freiwillig auf den Kündigungsschutz (Sperrfrist) verzichtet.
Im Gegenzug habe er eine freiwillige Abfindung erhalten, welche höher war als der Lohn für die Dauer der Sperrfrist. Die Vereinbarung über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei gültig gewesen.
Sperrfristschutz und anrechenbarer Arbeitsausfall
In seinen rechtlichen Erwägungen prüfte das Gericht zuerst den Inhalt der Aufhebungsvereinbarung und somit, ob sie gültig zustande gekommen ist. Nach Art. 341 Abs. 1 OR kann während des Vertragsverhältnisses und einen Monat nach dessen Ende nicht auf zwingende Ansprüche und somit den Sperrfristenschutz verzichtet werden. Gemäss Rechtsprechung ist der Verzicht auf den Sperrfristenschutz jedoch dann gültig, wenn ein echter Vergleich zustande gekommen ist, d.h. beide Parteien haben auf Ansprüche von ungefähr gleichem Wert verzichtet und eine ausgewogene Vereinbarung getroffen, so dass mit der Vereinbarung keine Gesetzesumgehung erfolgte.
In einem zweiten Schritt prüfte das Gericht, ob ein anrechenbarer Arbeitsausfall vorliegt, um einen Anspruch auf Arbeitslosentaggelder zu haben. Der Arbeitsausfall ist so lange nicht anrechenbar, als Lohn- oder Entschädigungsansprüche wegen vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses bestehen. Weiter gilt der Arbeitsausfall in der Höhe als anrechenbar, als freiwillige Leistungen des Arbeitgebers den Verdienstausfall decken, der durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entsteht (Art. 11a Abs. 1 AVIG).
Freiwillige Leistungen des Arbeitgebers
Als freiwillige Leistungen des Arbeitgebers gelten bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses sämtliche Entschädigungen, die nicht Lohn- oder Entschädigungsansprüche nach Art. 11 Abs. 3 AVIG (Art. 10a AVIV) darstellen, d.h. die nicht wegen einer ungerechtfertigten fristlosen Kündigung (Lohn für die Dauer der Kündigungsfrist und Strafzahlung) zu bezahlen sind. Alle anderen Entschädigungen werden deshalb als nicht anrechenbaren Verdienstausfall qualifiziert.
Fazit
Das Urteil der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts zeigt auf, dass beim Abschluss von Vereinbarungen auch die sozialversicherungsrechtlichen Aspekte zu berücksichtigen sind und nicht nur die privatrechtlichen. Der Formulierung der Vereinbarung über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist deshalb besonders Rechnung zu tragen, vor allem auch dann, wenn eine Entschädigung bezahlt wird, um eine Einsprache wegen missbräuchlicher Kündigung vom Tisch zu haben. In diesem Fall darf nicht die Formulierung gewählt werden, dass ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Entschädigung bezahlt wird, da es sich dann fraglos um eine freiwillige Leistung handelt.
Autorin: Regula Mullis
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